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Frau mit Kind
Die explodierenden Preise treffen alle. Doch Frauen und Kinder sind die größten VerliererInnen der Rekordteuerung Markus Zahradnik

Frauen und Kinder zuletzt

Mit Stand Jänner 2023 hat die Inflation laut Schnellschätzung der Statistik Austria den höchsten Wert seit 70 Jahren erreicht: 11,1 Prozent. Nachhaltige Lösungen sind nicht in Sicht.

Familien zahlten im Vorjahr 830 Euro mehr für Nahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs, wer auf das Auto angewiesen ist, legt noch einmal rund 1.300 Euro im Jahr drauf. Der ÖGB legt seit Monaten unermüdlich Rezepte auf den Tisch, um die Inflation zu bremsen. Bis auf einige Einmalzahlungen ist vonseiten der Regierung aber viel zu wenig passiert.

Für immer mehr Menschen wird der Alltag unerschwinglich, immer mehr rutschen an die Armutsgrenze, verschulden sich. 

Frauen trifft die Teuerung doppelt hart. Wer weniger verdient – und das tun Frauen auch bei gleichwertiger Arbeit immer noch viel zu oft –, kann seltener auf Erspartes oder Geerbtes zurückgreifen und muss einen größeren Teil des Monatseinkommens für die steigenden Preise ausgeben. Und auch Kinder, besonders wenn die Mütter alleinerziehend sind, sind immer mehr von Armut bedroht.

Der ÖGB hat deswegen mit Expertinnen gesprochen und Konzepte entwickelt, die Frauen wirksam entlasten.

Ältere Frau im Supermarkt
Die Teuerung hat im Jänner 2023 wieder an Fahrt aufgenommen - wer kann sich das noch leisten? Markus Zahradnik

Mama macht das Mittagessen

Vor allem in ländlichen Regionen ist das Kinderbildungs- und Kinderbetreuungsangebot weit von europäischen Zielvorgaben entfernt. Als Konsequenz muss die Mama oft zu Hause bleiben. Expertin Claudia Sorger hat im Auftrag von AMS Salzburg und Tirol eine Studie zum Bedarf und Ausbau der Kinderbetreuung in Österreich durchgeführt und ernüchternde Daten gesammelt.

  • Der Europäische Rat hat bereits vor zwanzig Jahren beschlossen, dass für 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsangebote zur Verfügung stehen sollen. Doch Österreich verfehlt mittlerweile zum zwölften Mal in Folge dieses Ziel. Nur zwei Bundesländer erfüllen es: Wien (43,3 Prozent) und das Burgenland (37 Prozent). Am weitesten entfernt sind Oberösterreich (19,6 Prozent Betreuungsquote) und die Steiermark (18,6 Prozent).

  • Die Hälfte der Frauen in Österreich arbeitet in Teilzeit. In Bundesländern, in denen Kinderbildungsplätze für Kinder unter drei Jahren fehlen und Einrichtungen bereits mittags schließen, sind die Teilzeitquoten von Frauen besonders hoch.

  • Je mehr gut ausgebildete Menschen in der Kinderbetreuung und -bildung unter guten Bedingungen arbeiten, desto besser für alle Beteiligten. Derzeit beträgt die sogenannte Fachkraft-Kind-Relation (wie viele Kinder werden von einer Fachkraft betreut) zwischen 1:14,6 in der Steiermark und 1:8,1 in Vorarlberg. Gefordert werden von ExpertInnen maximal 1:4 bei Kindern bis drei Jahre und 1:7 bei den Drei- bis Sechsjährigen.

  • In Österreich werden 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für elementare Bildung ausgegeben. Tatsächlich bräuchte es mindestens ein Prozent des BIP pro Jahr, um sich an die „besten“ Länder anzunähern, wie etwa Dänemark, Frankreich oder Schweden.
Österreichkarte
In Österreich haben nur 38 Prozent der Kindertagesheime länger als zehn Stunden geöffnet. Das ist ungefähr das tägliche Zeitfenster, das für Eltern (vor allem für Alleinerziehende) benötigt wird, um einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen zu können. ÖGB

Kochen, putzen, Kinder pflegen

Sogenannte Care-Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Hausarbeit und die Pflege von Angehörigen sind gesellschaftlich unverzichtbare Beiträge. Trotzdem sind sie meist unbezahlt und liegen oftmals in der Verantwortung von Frauen. ÖGB-Expertin Karin Zimmermann über aktuelle Tendenzen und wie wir veraltete Rollenbilder aufbrechen können.

Laut einer aktuellen Studie der Wirtschaftsuniversität Wien leisteten Frauen während der Coronapandemie 17,5 Stunden unbezahlte Arbeit pro Woche mehr als Männer. Frauen haben mit 60 Prozent den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit verrichtet. Das entspricht laut Berechnungen der Statistik Austria einem Gegenwert von 108 Milliarden Euro. Das Geld haben Frauen aber natürlich nicht bekommen. 

Frau mit Kind
108 Milliarden Euro: So viel Geld hätten Frauen bekommen, wenn die gesamte unbezahlte Care-Arbeit während der Coronakrise vergütet worden wäre. Markus Zahradnik

Die Frage ist: Wie können wir das ändern? Wir sehen, dass bisherige Ansätze für Eltern zur gerechten Teilung der Betreuungsaufgaben noch zu wenig greifen. Einerseits weil sie finanziell unattraktiv für das entgangene Vätereinkommen sind und andererseits zu wenig Anreiz für eine Erhöhung der Arbeitszeit von Frauen bieten. Mit der Teuerung gewinnt der finanzielle Anreiz nochmals mehr an Bedeutung – schließlich muss das Familieneinkommen gesichert sein. Wenn wir nicht gegensteuern, landen wir auch beim Thema unbezahlte Arbeit immer mehr in der Vergangenheit. 

Das von ÖGB und AK geforderte Familienarbeitszeitmodell bietet einen Lösungsansatz für Eltern: Wenn beispielsweise beide Elternteile nach der Karenz ihre Arbeitszeit auf 28 bis 32 Wochenstunden reduzieren bzw. erhöhen, sieht das Modell eine Pauschale von 250 Euro pro Elternteil pro Monat vor. Damit verdienen Mütter besser und Vätern bleibt mehr wertvolle Zeit für ihre Kinder.

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Kinder in Armut: „36 Prozent bekommen nichts“

Andrea Czak, Gründerin und Obfrau des Vereins FEM.A – Verein feministischer Alleinerzieherinnen, ist selbst alleinerziehende Mutter einer Tochter und erklärt im Interview, welche Auswirkungen die Teuerung auf Kinder und Mütter hat – und wie eine Unterhaltsgarantie Kinderarmut in Österreich verhindern könnte.

Warum ist die Teuerung für alleinerziehende Frauen besonders bedrohlich?
Alleinerzieherinnen sind überdurchschnittlich von der Inflation betroffen. Sie sind nicht nur besonders von Armut betroffen, sie müssen im Vergleich auch mehr als andere für alltägliche Dinge ausgeben, bei denen der Preis im letzten Jahr extrem gestiegen ist: Energie, Lebensmittel und Wohnen. 

Welche Auswirkungen hat das auf die Kinder?
Die Kinder von Alleinerzieherinnen sind nun noch mehr von Armut und Ausgrenzung bedroht: Noch mehr Kinder können an Schulveranstaltungen nicht teilnehmen, aber auch gesunde Ernährung wie frisches Obst und Gemüse sind für viele nicht mehr leistbar. Wichtige Ausgaben wie Therapien werden verschoben.

Wie kommen diese Menschen aus der Armutsfalle, was muss konkret geschehen?
Fehlender Kindesunterhalt ist einer der Hauptgründe für Kinderarmut: 36 Prozent bekommen nichts, die Mehrheit weniger als den Regelbedarf (Durchschnittsbedarf eines Kindes einer bestimmten Altersstufe). Frauen werden damit alleingelassen. Wir fordern seit Jahren die Unterhaltsgarantie, das zielsicherste Instrument, um die Kinderarmut in Österreich zu beenden.

Alle Infos zum Verein FEM.A gibt es HIER.

Grafik So viel kostet ein Kind
Durchschnittlich 630 Euro braucht einE 15-JährigeR im Jahr 2023 pro Monat (vor zwei Jahren waren es noch 488 Euro). 36 Prozent der Kinder getrennt lebender Eltern in Österreich bekommen keinen Unterhalt. Das ist ein Hauptgrund für Kinderarmut. Eine Unterhaltsgarantie ist überfällig.

Noch 100 Jahre bis zur Pensionsgerechtigkeit

Die sogenannte Pensionsschere, die Lücke zwischen Männer- und Frauenpensionen, schließt sich im Schneckentempo. Wenn wir so weitermachen, dauert es noch mehr als 100 Jahre bis zur Pensionsgerechtigkeit. ÖGB-Expertin Dinah Djalinous-Glatz über Probleme und Lösungen.

Ältere Frau
Während Männer eine monatliche Durchschnittspension von 2.103 Euro beziehen, sind es bei Frauen nur 1.239 Euro. Altersarmut bei Frauen ist vor allem eines: unsichtbar. Markus Zahradnik

Frauen bekommen in Österreich rund 40 Prozent weniger Pension als Männer. Während Männer eine monatliche Durchschnittspension von 2.103 Euro beziehen, sind es bei Frauen nur 1.239 Euro. Der Pensionsunterschied zwischen Frauen und Männern hat sich im Laufe der Zeit zwar etwas verringert, aber wenn es in diesem Tempo weitergeht, braucht es noch mehr als 100 Jahre, bis sich die Pensionsschere schließt. 

Weil Frauen im Durchschnitt niedrigere Pensionen beziehen, haben allein lebende Pensionistinnen auch ein höheres Risiko, armutsgefährdet zu sein.

Schon jetzt geht nur jede zweite Frau aus einer Erwerbstätigkeit direkt in Pension. Ein großer Teil der Unternehmen bietet Frauen somit keine Beschäftigungsmöglichkeiten bis zur Pension. 

Damit mehr Frauen bis zur Pension arbeiten können, braucht es gute Arbeitsbedingungen, präventive Gesundheitsförderung und altersgerechte Lösungen. Neben einer besseren Anrechnung der Kindererziehungszeiten ist auch ein Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Geburtstag notwendig. Dadurch haben Frauen die Möglichkeit, mehr Stunden zu arbeiten und folglich im Alter auch eine höhere Pensionsleistung zu bekommen.

„Pinkflation“: Teuerung in Rosarot

Hygieneartikel, Friseurbesuche, Kleidung, Beauty-Produkte und sogar Haushaltswaren: „Weibliche“ Produkte – so klischeehaft das auch sein mag – sind teurer als „männliche“ oder neutrale Produkte.

Ein Einwegrasierer kostet mehr, wenn er rosa ist, und Binden oder Tampons sind sowieso Luxusartikel. Dass der Rasierer für Frauen und viele andere Produkte nun auch noch in höherem Ausmaß von der Inflation betroffen sind, zeigt sich gerade besonders stark.

„Pinkflation“ heißt das Phänomen.

Neu ist das nicht. Schon 2007 stellte eine US-Investmentbank fest, dass Teuerung je nach Geschlecht unterschiedlich ausfällt. Das ist gleich doppelt unfair, denn Frauen verdienen im Schnitt bei gleicher Arbeit weniger als Männer (Stichwort Gender-Pay-Gap), müssen aber mehr für ihre Produkte bezahlen und mehr Teuerungen hinnehmen. 

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