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Tausende Menschen versammelten sich bei der ÖGB-Menschenkette um Maßnahmen gegen die Teuerung zu fordern ÖGB/Lux

Teuerung

Die Preise steigen, die Löhne müssen folgen!

Das „Gschichtl" von der Lohn-Preis-Spirale kommt immer wieder - und jedes Mal müssen es die Gewerkschaften richtig stellen.

Die Preise des vergangenen Jahres sind die Basis für Lohn- und Gehaltsverhandlungen. Wer unter diesen Umständen Lohnzurückhaltung fordert, will Arbeitnehmer:innen ärmer machen. Von allen Gewerkschaften kommt dazu ein klares „Nicht mit uns!“.  

Es ist im Grunde nicht schwer zu verstehen: Die Inflation tut, was sie tut – und das ist momentan viel zu viel. Vor den aktuell laufenden Kollektivvertragsverhandlungen wurde dann aufs letzte Jahr ZURÜCKgeblickt, und mit diesen Erkenntnissen ging es in die Verhandlungen. Wie immer. Klingt einfach, ist es auch. Damit ist auch klar, wer wem folgt: nämlich die Löhne und Gehälter (die erhöht werden sollen) den Preisen (die längst hoch sind). Es ist übrigens völlig egal, wie oft und von wem das Gegenteil behauptet wird – es wird einfach nicht richtiger. Man wird ja im Ausland auch nicht besser verstanden, nur weil man sich immer lauter wiederholt.  

 

Unternehmen bekommen Hals nicht voll  

Und trotzdem müssen die Gewerkschaften dieses „Gschichtl“ immer und immer wieder berichtigen – „obwohl im Frühjahr auch von der Europäischen Zentralbank bestätigt wurde, dass es die Unternehmen sind, die den Hals nicht voll bekommen, die die Teuerung antreiben“, wie Wolfgang Katzian erinnert. Für den ÖGB-Präsidenten ist ohnehin klar: „Die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften folgen den Preisen und nicht umgekehrt. Um das zu verstehen, muss man kein Intellektueller sein.“   

Die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften folgen den Preisen und nicht umgekehrt. Um das zu verstehen, muss man kein Intellektueller sein.

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian

Zuerst haut man mit dem Hammer daneben, dann tut der Finger weh – Ursache, Wirkung. So einfach ist das. Dass die Beschäftigten ihren Teil vom Kuchen der Produktivitätssteigerung bekommen, ist die Aufgabe der Gewerkschaften und sichert die Kaufkraft.  

 

„Es kann keine Lohn-Preis-Spirale geben“  

Dieses österreichische Lohnverhandlungssystem ist seit Jahrzehnten bewährt, „und es stellt sicher, dass es keine Lohn-Preis-Spirale geben kann“, erklärt Helene Schuberth. Die Chef-Ökonomin des ÖGB liefert auch Zahlen dazu: „2022 sind die Preise um 8,6 Prozent gestiegen, die Löhne um 4,4.“ Grund zur Sorge ist das – eben dank der Kollektivvertragsverhandlungen der Gewerkschaften – aber nicht, solange man nicht mitten im Spiel die Regeln ändern will. Dieser Reallohnverlust werde dadurch eben im nächsten Jahr ausgeglichen. „Wird die Kaufkraft erhalten, stabilisiert das die Wirtschaft“, so Schuberth, die auch festhält: „Die Preise sind wesentlich von den Profiten getrieben – vor allem bei den größten Preistreibern wie Lebensmittel und Mieten. Hier sollte die Politik ansetzen.“ Wie wichtig das für die Arbeitnehmer:innen ist, haben am 20. September auch Tausende bei einer Menschenkette entlang der Bannmeile ums Parlament deutlich gezeigt – gerade auch unmittelbar vor den KV-Verhandlungen ein starkes Zeichen.  

Die Preise sind ­wesentlich von den Profiten getrieben – vor allem bei den größten Preistreibern wie Lebensmittel und Mieten. Hier sollte die Politik ansetzen.

Helene Schuberth, Chef-Ökonomin des ÖGB

 

Lohndumping hat noch nie Arbeitsplätze gerettet  

Und damit sind wir mittendrin in einem heißen Herbst. „Die Forderung der Wirtschaft nach Lohnzurückhaltung ist eine Gemeinheit. Das werden wir nicht zulassen“, verspricht Reinhold Binder, Vorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE und Chefverhandler der Metaller. „Wir merken ja auch keine Zurückhaltung bei den Gewinnausschüttungen an Eigentümer und Aktionäre.“ Die enormen Gewinne der Unternehmen sind eine direkte Folge der eben schon längst gestiegenen Preise. Die Unternehmer und ihre Vertretungen reden die Wirtschaftslage traditionell immer erst dann schlecht, wenn die Kollektivvertragsverhandlungen anstehen. ,Geht der Gewerkschafter durchs Zimmer, stimmen die Prognosen nimmer‘, heißt’s nicht ohne Grund. „Die Inflation folgt ja nicht den Lohn- und Gehaltserhöhungen, sondern ist schon da, bevor wir überhaupt im Herbst mit den Verhandlungen beginnen“, erklärt auch Helga Fichtinger, die für die Gewerkschaft GPA den Handelskollektivvertrag verhandelt. „Wir orientieren uns immer an den vergangenen zwölf Monaten, also an der rollierenden Inflation, und nicht an der Zukunft“, so Fichtinger weiter.   

Die Forderung der Wirtschaft nach Lohnzurückhaltung ist eine Gemeinheit. Das werden wir nicht zulassen. 

Reinhold Binder, Vorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE

Lohndumping – und nichts anderes sind zu niedrige Löhne, die durch das Lohn-Preis-Märchen gefordert werden – habe noch nie Arbeitsplätze gerettet oder Firmen von Standortverlagerungen abgehalten, erklärt Reinhold Binder und sagt auch, was wirklich nötig ist: „Die Arbeitnehmer:innen brauchen ordentliche und nachhaltige Lohnerhöhungen wie einen Bissen Brot.“ Allein die Mieten wären in den letzten zwei Jahren um 25 Prozent gestiegen, die Preise für Lebensmittel um 23 Prozent. Und dieses Geld löst sich nicht in Luft auf, es landet in den Taschen der Konzerne, lange bevor die Löhne und Gehälter erhöht werden – und das treibt die Inflation an.  

Die Inflation folgt ja nicht den Lohn- und  Gehaltserhöhungen, sondern ist schon da, bevor wir überhaupt im Herbst mit den Verhandlungen beginnen. 

Helga Fichtinger, Gewerkschaft GPA, Wirtschaftsbereich Handel

 

Gewerkschaften reagieren auf die aktuelle Lage  

Es sind natürlich keine sturen Forderungen, die die aktuelle Lage ignorieren. Dafür sorgen vor allem die Branchen-Kollektivverträge, die für 98 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Österreich gelten. „Dieses System ist aus zweierlei Gründen sinnvoll: Es schafft für alle Unternehmen innerhalb der Branche die gleichen Rahmenbedingungen, lässt aber genügend Spielraum, um die Unterschiede zwischen den Branchen zu berücksichtigen“, erklärt ÖGB-Arbeitsrechtsexperte Martin Müller. Die Gewerkschaften beobachten die Lage also sehr genau und reagieren in ihren Verhandlungen entsprechend. Auch aus juristischer Sicht eine Erfolgsgeschichte für alle Beteiligten. „Wir wären ganz schlecht beraten, daran zu rütteln“, hält Müller fest.   

 

Teuerung schon vor 100 ­Jahren Thema  

Teuerung sei schon ein wichtiges Thema gewesen, als die Kollektivverträge Anfang des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen steckten, wie ÖGB-Historikerin Marliese Mendel erinnert. „Es gab in der Ersten Republik Lohnerhöhungen von bis zu 50, in Ausnahmefällen sogar über 100 Prozent“, so Mendel. „Auch mit dem Neuaufbau ab 1945 war KV-Politik immer auch an Inflation bzw. Teuerung orientiert. Das ist auch immer Teil der Benya-Formel, also die Inflation der letzten zwölf Monate plus dem Anteil am wirtschaftlichen Erfolg, gewesen. Es war also immer eine Reaktion auf die herrschenden Zustände. Nur von 1947 bis 1951 wurden mit Lohn-Preis-Abkommen Löhne und Preise gemeinsam erhöht“, stellt die Historikerin klar – und beweist: Die Löhne und Gehälter folgen auch historisch gesehen den Preisen. Nicht umgekehrt.      

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