Der harte Kampf um die Sonntagsruhe
Wie Arbeiter:innen seit dem 19. Jahrhundert für ihr Recht auf Sonntagsruhe kämpfen – und warum der freie Tag bis heute unter Druck steht
Das Wichtigste in Kürze:
- Seit dem 19. Jahrhundert kämpfen Gewerkschaften für Sonntagsruhe als Erholung
- Erste Gesetze ab 1895 brachten Fortschritte, hatten aber viele Ausnahmen
- Kriege und Diktaturen setzten sie zeitweise außer Kraft, nach 1945 wurde sie gesetzlich verankert
- Bis heute verteidigen Gewerkschaften die Sonntagsruhe gegen Druck
An einem Sonntagmorgen im Juni 1852 unternahmen die Wohlhabenden Wiens Ausflüge ins Grüne. Ihre Bediensteten und die Arbeiter:innen hatten dazu keine Zeit – viele mussten nach der Messe zurück in die Fabriken, auf die Felder oder hinter die Verkaufstische. Ruhe war ein unbekannter Luxus.
Erste Forderungen der Gewerkschaften
Die Sonntagsruhe wurde erst mit den Gewerkschaften ab den 1870er-Jahren zu einer politischen Forderung. Sie argumentierten: Wer sechs Tage lang elf Stunden arbeitet, hat ein Anrecht, sich am siebten Tag als freier Mensch zu fühlen. Arbeitgeber reagierten empört und fürchteten ihren Ruin.
Das erste Gesetz – mit vielen Ausnahmen
1885 brachte die Novelle der Gewerbeordnung zwar tägliche Pausen und eine Sechs-Tage-Woche, doch durch zahlreiche Ausnahmen wurde die Sonntagsruhe bald wieder unterlaufen. Also griffen die Gewerkschaften auf das noch heute bewährte Mittel der Kollektivverträge – die „Bibel der Arbeitnehmer:innen“. Ende des 19. Jahrhunderts regelten sie darin nicht nur Mindestlöhne, sondern auch freie Sonntage.
Im Jahr 1895 verabschiedete der Reichsrat das erste Sonntagsruhegesetz und es trat am 1. Mai – dem Tag der Arbeit - in Kraft. Es sah 24 Stunden Ruhe ab Sonntag sechs Uhr früh vor – allerdings gab es viele Ausnahmen, etwa für die produzierende Industrie oder auch für die Kastanienbrater. Zudem gab es ein Schlupfloch: Wem die Sonntagsruhe durch Arbeit „geraubt“ wurde, der bekam Ersatzruhe, die auf zwei Tage aufgeteilt werden durfte. So arbeiteten manche wieder sieben Tage die Woche.
Ein verregneter erster Sonntag
Der erste freie Sonntag am 5. Mai 1895 fiel ins Wasser – im wahrsten Sinne: Es regnete, viele blieben daheim. Andere schlossen sich den aufblühenden Arbeitervereinen an: Sänger-, Radfahr-, Sport- und Wanderclubs boten neue Freiräume.
Widerstand und Rückschritte
Doch kaum war das Gesetz in Kraft getreten, zeigte sich: Kaum ein Unternehmen hielt sich daran. Wieder waren es die Gewerkschaften, die mit Kundgebungen und Streiks nachhelfen mussten. Und mit Beginn des Ersten Weltkriegs hob Kaiser Franz Joseph die Bestimmungen völlig aus. Zwar brachte 1918 das erste Arbeitszeitgesetz die 36-stündige Wochenruhe, doch Sonntagsarbeit blieb in vielen Branchen üblich. Erst Kollektivverträge mit 100-prozentigen Sonntagszuschlägen brachten wenigstens etwas Geld in die Brieftaschen der Arbeiternehmer:innen.
Krisen und Diktaturen
In den 1930er-Jahren wurde der Sonntagszuschlag von den Austrofaschisten halbiert, die Nationalsozialisten schafften ihn ganz ab. Nach 1945 erkämpften die Gewerkschaften in den Kollektivverträgen den hundertprozentigen Sonntagszuschlag zurück. 1957 folgte das Feiertagsruhegesetz, 1983 das Arbeitsruhegesetz.
Neuer Streit im 21. Jahrhundert
Doch auch seither bleibt der Sonntag umkämpft. Handelsunternehmer:innen fordern laufend Ausnahmen, während Gewerkschaften und Kirchen dagegenhalten. 2002 gründeten sie die Allianz für den freien Sonntag. 2018 wurde das Arbeitszeitgesetz von der schwarz-blauen Regierung verschlechtert – inklusive der Möglichkeit der Sonntagsarbeit an vier Tagen im Jahr für alle Branchen.
Gut, dass die Kollektivverträge nach wie vor den hundertprozentigen Zuschlag sichern!
Der Kampf um den freien Tag begleitet die Arbeitenden seit über 150 Jahren. Und bis heute bleibt er ein hart erstrittenes Stück Freiheit.
Quellen:
Andreas Walter Wimmer, Staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik im Spiegel des Gewerberechts, 2011
Julius Deutsch, Die Tarifverträge in Österreich, 1908
Peter Liszt, Marliese Mendel, Peter Schissler, Roland Starch, Wir.Die Metaller, 2016
Brigitte Pellar, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, nur Zeit, Arbeit&Wirtschaft, 20.01.2020