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Der Soziologe Dr. Jörg Flecker im Gespräch Nurith Wagner-Strauss

Arbeitszeit

Die Scheinargumente der Teilzeit-Debatte

oegb.at spricht mit dem Soziologen Jörg Flecker darüber, worum es in der Diskussion wirklich geht

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die meisten arbeiten Teilzeit, weil sie müssen – nicht, weil sie es wollen
  • Für viele Unternehmen sind Teilzeitkräfte praktisch und machen den Betrieb flexibler
  • Besser als „zurück zur Vollzeit“ wären kürzere Vollzeit und bessere Bedingungen für alle
Seit Wochen geistert der Begriff „Lifestyle-Teilzeit“ von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmansdorfer durch die Medien. Er rückt mit seinem Angriff auf Teilzeitbeschäftigte die harte Arbeit hundert Tausender in ein schlechtes Licht und blendet die Gründe für die relativ hohe Teilzeitquote in Österreich aus. Flecker erklärt, warum es überhaupt zur Ausweitung der Teilzeit kam. 
 
oegb.at: Wie sehen sie die aktuelle Debatte zur angeblichen “Lifestyle-Teilzeit”? Werden hier nachvollziehbare Argumente gebracht?
 
Flecker: Der Begriff „Lifestyle-Teilzeit“ ist abwertend. Es wird so getan, als ob sich diese Menschen aus der Verantwortung ziehen, für alle anderen zu arbeiten. Das ist falsch und inakzeptabel: So wird behauptet, dass die Lebensführung nicht frei wählbar wäre. Wir leben aber in einem demokratischen Land, in dem wir frei entscheiden können, wie wir leben wollen.
 
Außerdem tut man so, als würden die Leute Teilzeit aus Spaß wählen. Das macht nur eine kleine Minderheit, die es sich leisten kann, weniger zu arbeiten. Die überwiegende Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten hat andere Gründe, die sie eigentlich dazu zwingen, Teilzeit zu arbeiten.
 
oegb.at: Wie kam es überhaupt dazu, dass so viel Teilzeit gearbeitet wird? 
 
Flecker: Die Teilzeit-Diskussion ist ein bisschen geschichtsvergessen. Wir müssen uns erinnern, dass die Teilzeitarbeit viele zusätzliches Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt gebracht hat. Ab den 70er Jahren sind wieder mehr Frauen arbeiten gegangen. Davor blieben die Frauen zu Hause. Aufgrund der eingeschränkten Kinderbetreuung gehen viele aber nur Teilzeit arbeiten. Und jetzt wird plötzlich so getan, als würden die Leute der Wirtschaft Arbeitsstunden wegnehmen, wenn sie Teilzeit arbeiten.
 
oegb.at: Gab es in der Vergangenheit bestimmte Gründe, warum die Wirtschaftsseite ganz bewusst auf Teilzeit gesetzt hat?
 
Flecker: Es gibt bestimmte Branchen, die sehr von der Einführung der Teilzeit profitiert haben. Vor 20 bis 30 Jahren wurden im Handel nur Vollzeit gearbeitet. Dann wurden die Öffnungszeiten verlängert. Diese Spitzen konnten Unternehmen leichter mit Teilzeitkräften abdecken. Heute werden im Handel explizit Teilzeitstellen ausgeschrieben. 
 
In anderen Bereichen wie der Pflege ist eine Vollzeitarbeit gesundheitlich oft nicht durchzuhalten. Die Leute arbeiten Teilzeit, um überhaupt arbeitsfähig zu bleiben. 
Also die Unternehmer haben sehr stark von der Teilzeit profitiert. 
 
oegb.at:  Warum verändert sich dieser Diskurs wieder? Welche Interessen stehen da dahinter? 
 
Flecker: Ich denke, dass manche Unternehmen Schwierigkeiten haben, Arbeitskräfte zu finden, gleichzeitig aber keine Menschen über 55 aufnehmen wollen. Da ist es verlockend zu sagen, eine bereits ausgebildet Person im Unternehmen einfach um 5 oder 10 Stunden aufzustocken. Dann hat der Betrieb keine Kosten für die Rekrutierung und die Einschulung. Das ist billig und bequem.
 
oegb.at: Wenn wir tatsächlich mehr Beschäftigte in Vollzeit benötigen würden, wie könnte das gelingen? 
 
Flecker: Menschen, die Betreuungspflichten haben und deshalb Teilzeit arbeiten, sollten mehr Unterstützung bekommen, z.B. mit der Bereitstellung von öffentlicher Kinderbetreuung.
 
Ansonsten muss man auch die Arbeitsbedingungen verbessern und sie so gestalten, dass die Leute diese Arbeit auch Vollzeit durchhalten können. Also konkret die Belastungen reduzieren, damit die Gesundheit erhalten bleibt. 
 
oegb.at: Es wird oft die Finanzierung des Sozialstaats als Grund für ein „Zurück zur Vollzeit“ angeführt. Können wir den Sozialstaat nur mit Abgaben aus Vollzeitjobs finanzieren? 
 
Flecker: Ich habe meine Zweifel, dass das so viel bringt. Es ist nur eine kleine Gruppe von Teilzeitbeschäftigten, die ihre Zeiten ausweiten und dadurch mehr einzahlen könnten. Die Finanzierung des Sozialstaats wirkt eher wie ein Scheinargument.
 
Außerdem gibt es bessere Wege, den Sozialstaat zu finanzieren. Man könnte in Branchen, in denen sehr niedrige Löhne bezahlt werden, wie im Hotel- und Gastgewerbe die Mindestlöhne anheben. Das ist in Österreich eine große Branche. Wenn man dort höhere Löhne zahlt, hat man automatisch viel höhere Beiträge für die Sozialversicherung. 
 
Oder eben auch mit der Erbschafts- und Vermögenssteuer könnte ein wichtiger Beitrag geleistet werden. 
 
oegb.at: Eine konservative Denkfabrik rechnet vor, dass die jährliche Arbeitszeit pro Arbeitnehmer:in in Österreich im Laufe der Jahre abgenommen hat. Also dass wir zu wenig arbeiten. Arbeiten wir zu wenig? 
 
Flecker: Man könnte dann umgekehrt fragen, wozu der ganze technische Fortschritt von automatischen Maschinen und künstlicher Intelligenz, wenn man sich nicht Arbeit erspart? Man könnte auch sagen, dass es eigentlich das Ziel sein müsste, über die Jahre weniger zu arbeiten.  
 
Vielfach erfolgt die Verkürzung der Arbeitszeit individuell über Teilzeit. Teilzeit hat aber massive Nachteile für die Beschäftigten.
 
Es bräuchte eine Arbeitszeitverkürzung, also eine kürzeren Vollarbeitszeit. Da kann man viele der Probleme lösen, die jetzt individuell von den Beschäftigten durch Teilzeit gelöst werden, Stichwort Betreuung und Gesundheit.  
 
Jörg Flecker lehrt Soziologie an der Universität Wien und ist Vorstandsmitglied von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“.